Testierfähigkeit – Beurteilung

Eine letztwillige Verfügung ist unwirksam, wenn der Testierende zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig war. Das Vorliegen der Testierunfähigkeit kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden. Die Rechtsprechung hat mittlerweile klare Richtlinien aufgestellt, wie die Frage der Testierfähigkeit zu beurteilen ist. Demnach erfolgt die Beurteilung der Testierfähigkeit auf zwei Ebenen: Zunächst muss aus diagnostischer Ebene geprüft werden, ob zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine krankhafte psychische Störung beim Erblasser vorlag. Lag eine solche psychische Störung vor, muss auf der zweiten symptomatischen Ebene geprüft werden, ob diese Störung psychische Funktionsdefizite beim Erblasser zur Folge hatte, die den Erblasser in diesem Zeitpunkt in seiner freien Willensbestimmung beeinträchtigten.

Es ist also nicht entscheidend, ob der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung überhaupt zu einer Willensäußerung fähig war, sondern ob er seinen Willen frei von krankheitsbedingten Beeinträchtigungen äußern konnte.

Auf der ersten diagnostischen Ebene muss geprüft werden, ob beim Erblasser eine psychische Krankheit vorlag. Darunter fallen nicht nur Demenzen, unter anderem Alzheimer, sondern auch viele andere psychische Störungen, zum Beispiel Psychosen oder wahnhafte Symptome. Es ist nicht entscheidend, welche genaue psychiatrische Diagnose vorliegt. Vielmehr kommt es darauf an, ob eine Krankheit im rechtlichen Sinne vorliegt. Aus den rechtlichen Vorgaben ergibt sich, dass folgende Funktionsstörungen die Freiheit der Willensbildung ausschließen können: Ausgeprägte Gedächtnisstörungen, mangelnder Überblick über die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte und Zusammenhänge, ein veränderter Realitätsbezug, krankheitsbedingte Fremdbeeinflussbarkeit oder mangelnde Kritik- und Urteilsfähigkeit.

Das Vorliegen einer der oben genannten psychischen Störungen genügt grundsätzlich nicht, um das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu belegen. Auf der zweiten Beurteilungsebene muss geprüft werden, welche Auswirkungen die psychische Störung auf die Fähigkeit der freien Willensbestimmung hatte.

Eine freie Willensbildung ist nur möglich, wenn der Erblasser die dafür in Betracht kommenden Gesichtspunkte sachlich prüfen und gegeneinander abwägen kann und dabei die Verhältnisse entsprechend würdigen kann.

Der Erblasser muss in der Lage sein, sich die Für und Gegen einer letztwilligen Verfügung sprechenden Gesichtspunkte bewusst zu machen und sich ein klares, durch krankhafte Einflüsse nicht gestörtes, Urteil eigenständig bilden zu können und nach diesem Urteil, frei von Einflüssen Dritter, handeln zu können. Dies setzt natürlich voraus, dass der Erblasser sich an bestimmte Sachverhalte und Vorkommnisse erinnern kann, wichtige Informationen aufnehmen, Zusammenhänge erfassen und gegeneinander abwägen kann. Der Erblasser muss unter anderem aktuelle Informationen verarbeiten. Zusammenfassend kommt es auf das Gesamtbild des gesundheitlichen Zustandes des Erblassers an.

Liegen Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers vor, so ist das Nachlassgericht verpflichtet, im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht Beweise zu erheben und ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Da die zu beurteilende Frage, ob der Erblasser testierfähig war oder nicht, meist erst nach seinem Tode erfolgt, muss die Beweisermittlung besonders gründlich erfolgen und ist häufig nicht ganz einfach. Als Beweismittel eignen sich insbesondere Gerichtsakten eines Betreuungsverfahrens, Behandlungsdaten und Daten von Krankenkassen, bereits zu Lebzeiten des Erblassers eingeholte medizinische und psychologische Gutachten, ambulante Krankenunterlagen des Erblassers und sonstige schriftliche oder mündliche Zeugenaussagen von behandelnden Ärzten, Nachbarn, Bekannten, Verwandten, Bankangestellten, Pfarrern oder Polizeibeamten.

In einzelnen Fällen kann auch die persönliche Korrespondenz des Erblassers herangezogen werden, zum Beispiel seine Kalendernotizen, Kontoauszüge, Tagebücher und Rechnungen.